Juli 16, 2021

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Dritter Beitrag der Grundlagen-Reihe

Die Aussage im letzten Beitrag war, dass wir gewisse Impulse auf die Erde mitbringen, wie den nach Freiheit und Selbstbestimmung. Das mag nach 20 Jahren Medienvergiftung verdeckt sein, aber auf vielen Reisen gesammelte Eindrücke bestätigen, dass dies etwas wirklich typisch deutsches ist.

Aus dem Freiheitsdrang leitet sich nämlich die Selbstsicherheit ab, mit der Deutsche auch gern allein durch die ganze Welt reisen. Zumindest der Wesensveranlagung nach finden wir mehr Sicherheit in uns selbst als andere, und darüber nachzudenken halte ich für sehr wichtig.

Tja, so ist das Leben halt…?

Mehr und mehr ist es nämlich so, dass wir entweder tun, wofür wir hergekommen sind, oder vom immer mächtigeren Wirtschaftsgetriebe vereinnahmt und in sinnlosen Leben zerrieben werden. Wenn wir die harte „warum haben die das damals zugelassen?“-Frage mal auf uns und unsere Zeit anwenden, was lesen wir dann aus folgender Schlagzeile?

„Bald übernehmen Super-Apps unser ganzes Leben“

(Untertitel des auf welt.de erschienen Beitrags „Fleißiger und smarter? So überlegen sind uns die Chinesen wirklich“.)

Ja, so ist eben der „Trend“ würden viele antworten. Wir werden übernommen, da kann man nichts machen. Doch wollen wir wirklich Sklaven der Maschinen werden? Denn genau das steht ja da. Wollen wir uns wirklich in Zustände der Totalüberwachung fügen, die im angeblich so smarten China ja schon herrschen?

Wir Deutschen, die doch sensisibiliert sind dafür, dass man Entwicklungen Richtung Unmenschlichkeit nicht einfach so hinnehmen darf?

Es mag ja sein, dass ein paar Mächtige an den Hebeln der Macht sich wünschen, über Apps unser aller Leben zu beherrschen, doch haben wir dem keine andere Vision entgegenzusetzen? Die Vision eines sinnvollen, sinnerfüllten und damit menschenwürdigen Lebens?

Wie wäre es besser?

Eine solche Vision kann tatsächlich nur von den Dichtern und Denkern kommen, weil das Menschsein hier neu gegriffen wurde. Seit Kant ist die Mahnung der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ in der Welt, und schon Humboldt forderte eine Eingrenzung staatlicher Macht – also Menschen ihre Leben nicht vorzuschreiben. Und nach Goethe, der seinen Faust mit Sinn- und Daseinsfragen ringen ließ, war es Rudolf Steiner, der über Inkarnation auf ganz neue Art aufklärte.

Nicht als endlos rollendes Rad der Leben, wie man das im Osten sieht, wo man alles erduldet in der Hoffnung, bald aussteigen zu können. Lessing vertiefend erklärte Steiner, warum es wichtig ist, individuelle Freiheit auf Erden zu verwirklichen. Also Umstände zu schaffen, unter denen jeder seine aus der geistigen Welt mitgebrachten Impulse auch verwirklichen kann – beginnend damit, die Gegenkräfte zu bemerken und als veränderbar zu hinterfragen.

Gerade Menschen deutschen Geistes müssen Schlagzeilen wie die obige aufstoßen, um dieser monströsen Idee eine menschenwürdige entgegensetzen zu können. Denn alles fängt mit Ideen an, aus denen dann Wirklichkeit wächst. Wenn aber niemand auf die Idee kommt, solche Visionen zu hinterfragen, dann sind wir verloren. Dann wird und muss sich George Orwells Alptraum verwirklichen, oder Aldous Huxleys Horrorvision von einer „schönen neuen Welt“.

Solche Zukunftsvisionen in Frage zu stellen ist nur mit einer Kraft möglich, die den Kindern des Deutschen Geistes mitgegeben wurde – ob sie nun darum wissen oder nicht.

Dafür braucht es ein ganz besonderes Bewusstsein, nicht nur Erdenbürger zu sein, sondern eben Bürger zweier Welten, wie Schiller sagte. Nur aus solchem Bewusstsein ist es möglich, nach dem Sinn zu fragen und was werden soll.

Böser Weltverbesserer

Dazu eine persönliche Anmerkung: ich enttäuschte meinen Großvater, der gern gesehen hätte, dass ich seine Apotheke übernehme. Und dann meinen Vater, der mir einen Frankreich-Aufenthalt ermöglichte in der Hoffnung, ich würde ein erfolgreicher Businessman. Doch in Paris zogen mich die Künstler an, Schriftsteller, Schauspieler, Maler, Bildhauer und all die anderen Taugenichtse, als die man sie daheim empfand.

In der Rente, so hieß es, sei noch genug Zeit, nach dem Sinn des Lebens zu suchen.

Das sah oder besser fühlte ich anders. Ich konnte mir den eigenartigen Drang lange Zeit nicht erklären, warum mich Literatur über jenseitige Welten, über Karma, Wiedergeburt und Seelenverwandschaft so magisch anzog – ich dafür aber keinerlei Leidenschaft für all das „Angesagte“ entwickeln konnte, wie Fußball, Formel 1 oder „Deutschland sucht den sonstwas Star“. In meinem Streben wurde ich nicht untersützt, sondern im Gegenteil als Träumer und Weltverbesserer verspottet, der „es im Leben zu nichts bringen würde“.

Doch irgendwann dämmerte mir, dass mein „aus der Reihe tanzen“ richtig war, und es die Vater- wie Großvatergeneration wohl auch gern getan hätte. Doch nach Jahren im Horror des 2. Weltkrieges und 12 Jahren russischer Kriegsgefangenschaft konnte mein Großvater für Sinnfragen nur noch Spott übrig haben. Das verstehe ich jetzt, und ähnlich mein Vater.

Zu sagen, dass eine Kindheit für einen 1942 geborenen kein Zuckerschlecken war, dürfte die Untertreibung des Jahrhunderts sein. Welche Spuren hinterlässt ein Aufwachsen unter lauter Traumatisierten und Desillusionierten? Was für einen Sinn soll der gnadenlose Überlebenskampf schon haben, der seine Kindheit war – außer, ihn irgendwie zu überstehen und dabei vielleicht noch reich zu werden? Doch mir und meiner Generation ging es besser.

Und deshalb haben wir die Möglichkeit wie Verpflichtung (endlich wieder) zu tun, was nur Deutsche tun können: Sinnfragen zu stellen.

Sinn ist fühlbar

Damit ist aber keinesfalls ewiges Grübeln oder fruchtloses Spekulieren gemeint, sondern zunächst einmal dem Gefühl nachzugehen, wie immer sinnloser das Treiben auf der Welt ja ist. Sinnvoll ist nicht mit richtig zu verwechseln, das ist kein (Verstandes-) Urteil, sondern eben ein Gefühl, dessen Fehlen sich besonders gut bemerken lässt. Man fühlt, wenn etwas unsinnig ist, unstimmig und nicht zusammenpassend.

Wie etwa, dass wir trotz all der vielen Maschinen viel mehr und länger arbeiten müssen, als im Mittelalter. Oder dass es die Regierungen Jahrzehnte lang unterlassen haben, der absehbaren Umweltverschmutzung Einhalt zu gebieten, dann aber Strohhalme verbieten, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist. Das ist einfach widersinnig hoch drei – oder Absicht.

Doch man muss nicht in politische Fernen schweifen, um Gelegenheiten für Sinnfragen zu finden. Sie drängen sich auf, wo man sie gar nicht vermuten würde – z.B. in Liebesdingen.

Fragen wir uns: zielt der zarte Zauber der Verliebtheit wirklich darauf ab, in einer drögen Beziehungskiste zu enden? In solchen stereotypen Kisten finden sich ja viele wieder, wo kein Raum mehr ist für die tiefen Sehnsüchte des Beginns nach Verstandenwerden und der „Freude schöner Götterfunken“.

Ist das Leben halt so? Ist das eine Gesetzmäßigkeit oder läuft da einfach etwas schief? Gehen wir die Dinge falsch an, indem wir nämlich einfach nachahmen, wie unsere Altvorderen schon immer gemacht haben?

Könnte es sein, dass wir es auf völlig neue Art machen müssen, einfach weil neue Zeiten angebrochen sind?

Genau das denke ich. Das war die mich selbst verblüffende Erkenntnis nach jahrzehntelanger Sinnsuche. Wie man es früher gemacht hat, so nach guter alter Väter Sitte, das trägt nicht mehr. Denn jetzt leben wir im Zeitalter der Freiheit, wo wir ohne die Rollen und Vorschriften auskommen sollen und müssen, die das Zusammenleben früher dirigierten. Nur eines darf jetzt noch führend sein, und das ist der eigene Verstand und Einsichtsvermögen.

Unübersehbar geht es in der Welt drunter und drüber, für den, der Augen hat zu sehen; der in der Lage ist, die Unsinnigkeit zu bemerken. Das, ich wiederhole es, können nur deutsche Geister, weil sie der Anlage nach nicht mehr am Alten kleben. Deshalb reisen wir so gern durch die Welt, um uns umzublicken und einen Eindruck zu verschaffen. Und dann bewegen wir das Erlebte im tiefen Gemüt und gelangen mit etwas Glück zur Frage: wie passt es zusammen, was fehlt und wo will es hin?

Wer ist das Original?

Solche Fragen lassen sich nicht aus dem hohlen Bauch beantworten. Um Antworten zu erhalten, sind wir auf die Vorarbeit der Dichter und Denker eben angewiesen. Wie auf Goethe, der zwei Seelen identifizierte, die in seiner Brust wohnen und sich dort Gefechte liefern.

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen.

Eine Seele will zum (geistigen) Himmel, die andere klammert sich an die (irdischen) Genüsse. Die eine möchte verstehen, die andere in Empfindung schwelgen. Stellen wir dies einmal so dar:

Dieses Bild hilft, uns selbst zu verstehen, und was Schiller mit den Bürgern zweier Welten wohl meinte. Zu letzteren hat Goethe noch mehr gesagt, z.B. in folgendem Gedicht:

Vom Vater hab ich die Statur,
Des Lebens ernstes Führen,
Vom Mütterchen die Frohnatur
Und Lust zu fabulieren.
Urahnherr war der Schönsten hold,
Das spukt so hin und wieder;
Urahnfrau liebte Schmuck und Gold,
Das zuckt wohl durch die Glieder.
Sind nun die Elemente nicht
Aus dem Komplex zu trennen,
Was ist denn an dem ganzen Wicht
Original zu nennen?

Das ist einer dieser Schätze, den man uns in der Schule madig machte, statt auf die darin verborgene Offenbarung zu verweisen. Denn hier wird erklärt, dass über die väterliche Erblinie der Formpol weitergegeben wird, der in der körperlichen Gestalt wie im Denken nach Form und Gestaltung strebt.

Das Gemüt hingegen wird über die mütterliche Seite weitergegeben, und zwar bis in die Erlebnisse der Vorfahren, deren Vorlieben oder Abneigungen. Entscheidend ist aber der Dritte im Bunde, den Goethe als Original benennt. Das ist jener in uns, der über die beiden Linien / Ströme / Kräfte nachdenkt, und mit ihnen klarzukommen versucht.

Sprich mit dem Erbe aus zwei ganz unterschiedlichen Welten, die jeder an sich trägt.

Was auf den ersten Blick wie ein Gedicht aussieht, ist tatsächlich Wissenschaft.

Die Macht von (falschen) Ideen

Genau wie später ein Freud suchte auch Goethe nach Antworten, was denn in unserer Seele so rumort. Doch im Gegensatz zu Freud war Goethe spirituell, und nahm eine Seele und geistige Welten als real an. Als Dichter mit deutscher Seele hatte er ja Zugang zu ihnen.

Für Freud gab es nur ein diffuses Unbewusstes, das an den Körper geknüpft war, und dort fand er nur sexuelle Motive, anales, orales usw. Er erklärt das Leben als Tummelplatz der Lüste und sieht alles Wollen und Streben letztlich sexuell-triebhaft motiviert.

Damit lag er gar nicht mal so falsch, aber was er beschreibt, ist nur ein kleiner Teil der unteren Welt, zu der die eine Seele „in derber Liebeslust“ strebt. Doch es gibt eben auch noch eine andere, die aus geistigen Gefilden kommt und dorthin zurückwill. Diese Seele kennt Freud nicht, und reduziert deshalb den Menschen nicht nur auf das Körperliche, sondern degradiert ihn zum Tier. Und was macht man mit Tieren?

Na klar, man schreibt ihnen das Leben vor, wo und wie lange sie zu weiden haben, zu schlafen etc. Genau das, was mittels App heute realisiert werden soll.

Die so geistfern gewordene heutige Wissenschaft, die letztlich in den meisten (leider auch deutschen) Köpfen hockt, begreift Menschen als Tiere – und deshalb ist es nur konsequent, uns wie solche zu behandeln.

Über die zunehmende Vertierung des Menschen habe ich hier bereits sinniert.

Nur eines hilft gegen diese unselige Entwicklung, nämlich auf der Basis anderer – sprich Dichter-Denker-Ideen – Fragen zu stellen. Damit würden wir die Tradition jener Geister würdig fortführen, die in deutschen Landen gegen staatliche Willkür aufbegehrten. Die sich nicht mehr wie Vieh herumschubsen lassen wollten, sondern mitgestalten.


Weiter zum vierten Teil

mein buch zum thema

Zeitgemäße Gemeinschaftsbildung und die Aufgabe der Deutschen

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Erschienen: August 2021
Umfang: 422 Seiten

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Über den Autor

Thomas Christian Liebl

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