Juli 17, 2021

Die Grundlagenbeiträge bauen aufeinander auf, deshalb lies sie bitte der Reihe nach - beginnend mit der Startseite. Verpasste Beiträge sind in der Übersicht am Ende der Seite zu finden.

Vierter Beitrag der Grundlagen-Reihe

Im letzten Beitrag hieß es am Ende: „In uns liegt das Vermögen, durch Verständnis für Frieden zu sorgen, denn wir sind dem Wesen nach unparteiisch.“

Doch steht diese Aussage nicht völlig im Widerspruch zur Spaltung in Meinungslager, die sich im Zuge der Flüchtlingskrise gebildet haben, und in ähnlicher Form in Coronazeiten? Die Seiten und Sichtweisen – z.B. als Zustimmung oder Ablehnung der politischen Maßnahmen – prallen so heftig aufeinander, dass Familien und Freundschaften zerbrechen.

Mit Fug und Recht dürfen wir von einem Meinungskrieg sprechen, und es herrscht maximal Waffenstillstand, aber sicher kein Frieden. Welche „sinnvolle, einvernehmliche Lösung“ wäre denkbar, wie es im letzten Beitrag weiter hieß? Sind die gegensätzlichen Positionen versöhnbar, z.B. zwischen Maskenverweigerern und denen, die sie akzeptieren?

Was für ein Idiot?

Die Lösung begann mir zu dämmern, als ich wieder einmal Ärger über jemanden empfand, der beim Joggen Maske trug. „Was für ein Idiot!“ zog es mir durch den Sinn, und Feindschaft baute sich auf. „Wie kann man nur allein auf weiter Flur, in Gebieten ohne Maskenzwang sich freiwillig die Atmung behindern, noch dazu, wenn man mehr Luft bräuchte als normalerweise?“ Da sagte eine leise Stimme: „Vielleicht hat er ja eine Pollenallergie?“

Da spürte ich das „Lösen“, also wie sich etwas in mir löste.

Mir gefiel es immer noch nicht, einen Maskierten durch den Park rennen zu sehen (vielleicht ein Bankräuber?), aber es regte sich Verständnis. Ja, wenn das so ist, dann tut diesem Menschen die Maske sicher gut. Welches Recht hätte ich, ihm vorzuschreiben, er müsse halt mit dicker Nase und Erstickungsanfällen leben – Hauptsache Gesicht frei?

Ich wurde nachdenklich, und begann die Motive von Menschen zu hinterfragen. Ich versuchte, mich in sie hineinzuversetzen und an ihren Platz zu stellen. Verständnis keimte, und dieses ist der Schlüssel zum Frieden. Für den Moment die eigene Position und Sichtweise aufzugeben, und fragend die des anderen einzunehmen – voraussetzend, dass dessen Beweggründe genauso berechtigt sein könnten wie meine eigenen. Worauf ich kam, ist dieses:

Was bewegt die Maskenträger?

Ich selbst bin selten krank, und mit einer guten Konstitution gesegnet – doch andere nicht. Sie müssen besser auf sich achten, und aus ihrer Sicht wäre es fahrlässig, sich nicht vor einem Erreger zu schützen.

„Ja aber“, könnte man entgegnen, „den gibt doch gar nicht! Wie kann man nur so dumm sein?“ Doch wenn ich ehrlich bin: wer von uns weiß das wirklich? Was, wenn es ihn wirklich gäbe und er (zumindest Immungeschwächten oder Vorerkrankten) schaden könnte? Schon vor dieser Pandemie gab es genügend Menschen, die sich vor Erregern fürchteten und sogar dagegen impfen ließen.

Da hat es niemanden gestört – doch auf einmal ist so jemand „dumm“?

Ganz grundsätzlich gibt es Menschen, die sich leichter verunsichern lassen als andere, und die auf alles viel emotionaler reagieren als die mehr im Verstand lebenden, vernunftgesteuerten „Typen“. Dann eben jene von uns mit Allergien, die tatsächlich froh sind, wenn sie ihre Nase bedecken dürfen, ohne dafür schief angeschaut zu werden. Oder die sich in Gesellschaft nicht so wohl fühlen, eher zurückgezogen leben und sich am liebsten gar nicht zeigen würden. Für sie bedeutet die Maske Schutz.

Vielleicht haben sie sich schon lange gewünscht, Kapuzenmäntel wie im Mittelalter tragen zu können, um ihr Gesicht zu verbergen? Oder Schals, wie die Beduinen? Mir machen Blicke nichts aus, ich bin vielmehr ein extrovertierter Bühnentyp – andere aber nicht. Auch wenn mir das fremd ist, keimte durch Nachdenken Verständnis wie auch Selbstbefragung: „Was bringt mich dazu, andere dafür anzufeinden?

Wie ich einräumen musste, gibt es viele berechtigte Gründe, warum Menschen die Maske so willig ergreifen, und sei es „nur“ Gruppenzwang oder Angst vor Bestrafung.

Ängstliche Typen, Mitläufer und Duckmäuser gab es auch schon vor der Coronakrise, und das haben wir als „der ist halt so“ schulterzuckend akzeptiert. Wie es auch genügend Arztgläubige gab (mit Sicherheit auch unter den jetzt „Aufgeklärten“), die sich impfen ließen, Antibiotika schluckten und auch Totalvergiftung mit Chemotherapie brav über sich ergehen ließen, wenn die Götter in Weiß das anordneten.

Aber hier bemerke ich schon wieder meinen Drang, zu verurteilen!

Was bewegt die Ankläger?

Denn ich weiß es ja besser als die, statt jeden seinen Weg in Frieden gehen zu lassen!? Ja, ich würde keine Chemo machen, doch warum dürfen andere nicht für sich selbst entscheiden? Es ist ja ihr Leben, wie ich meines habe. Merkwürdige, mit heftigen Emotionen verbundene Überlegungen.

Wie sieht denn nun aber meine Haltung aus der Sicht der Maskentragenden aus, der ich mich zunächst im Lager der Aufgeklärten verortete?

Was ist bei ihnen das Gegenstück zu Dummheit und Duckmäusertum, die ich ihnen pauschal vorgeworfen hatte? Was reizt sie an der anderen Seite, den Maskenverweigerern und Protestierern?

Klar, dass sie die Gemeinschaft gefährden und nicht mit allen an einem Strang ziehen; dass sie glauben, es besser zu wissen als die Regierung und mit Gesetzen kommen, wo doch Leben in Gefahr sind. So weit alles bekannt, doch wozu könnte die Motivsuche bei ihnen führen mit der Frage: „Was könnte diese „Coronaleugner“ sonst noch so bewegen? Welche Motive könnten sie antreiben?“

Nun z.B., sich grundsätzlich nicht gerne etwas vorschreiben zu lassen und sich offen / unverhüllt zu Standpunkten zu bekennen. Es gibt ja die mutigen Streiter, die etwa als investigative Journalisten tätig werden. Dann ist es eine Frage der Prinzipien, weil im Gesetz doch steht…

Auch, dass man sich mit Zahlenspielen nicht für dumm verkaufen lassen möchte. Ein Stolz auf Eigenständigkeit und Vernunft könnte eine Rolle spielen, vielleicht verbunden mit dem Drang, es besser zu wissen. Da sind Menschen darunter, die immer das letzte Wort haben müssen, und anderen zeigen, wie schlau sie sind.

Ich bin sicher, dass nicht wenige von jenen, die jetzt „Freiheit & Grundgesetz“ rufen, sich vorher nie um (Menschen-) Recht und Ordnung scherten, und denen die schon lange erbärmlichen Zustände in Altenheimen egal waren. Doch es fühlt sich gut an, das „Ich kämpfe, ihr nicht“-Mäntelchen umzulegen.

Womöglich ist es auch nur die Suche nach Gesellschaft, sich als Teil eines Kollektivs zu empfinden. „Wir“ Aufgeklärten! Plötzlich hat man viele Buddies, und es ist Action im vorher vielleicht einsamen Leben. Als weiteres Motiv fällt mir das Dampf-Ablassen ein, also die Situation als Ventil für weiß welchen Druck zu nutzen.

Und nicht zuletzt etwas, was beide Lager verbindet: Angst.

Nur dass es sich im Aufklärerlager eher um Angst vor der Zukunft handeln dürfte, also was droht, wenn nach dem x-ten Lockdown der Job weg ist oder das Geschäft pleite. Die Gegenseite macht sich eher Sorgen um die Gesundheit und das nackte Überleben, für das man bereit ist, schlicht alles zu opfern.

Fazit

Die Motivlage ist äußerst vielfältig. Was jemand sagt oder tut und aus welchem Grund, dürften oft zwei ganz verschiedene Dinge sein. Umso merkwürdiger ist, dass

  • wir uns selbst so leicht einem Lager zuordnen,
  • und zu wissen glauben, „was der andere für einer ist“, nur weil er Maske trägt oder nicht, oder gerade diese und jene Meinung vertritt. Die anderen Ansichten kennen wir ja nicht, folgern aus der einen aber auf „so einer“. Dieses Wörtlein wird übrigens noch extrem wichtig werden.

Aufgrund dürftiger Indizien fällen wir Pauschalurteile, die mit oft extremen Antipathien gegenüber dem als feindlich empfundenen Lager verbunden sind. Auf der anderen Seite wachsen ebenso große Sympathien für die „Buddies“ im eigenen Lager, die man gestern vielleicht noch blöd fand. Auch diese Merkwürdigkeit werden wir näher untersuchen.

In diesem Beitrag geht es mir um die Erkenntnis, dass das Finden einer Lösung mit dem Lösen vom eigenen Standpunkt zu tun hat.

Wo Verständnis möglich ist, weicht die Abwehr einer Bereitschaft zur Verständigung – und damit für die Wahrung des Friedens. Nehmen wir an, wir wären im differenzierenden Erfragen von Motiven geübt, und hätten dies in der Coronakrise praktiziert, zu welcher Lösung hätten wir kommen können?

Eine andere Art des Umgangs

Nun, wer zum Schutz der eigenen Gesundheit, oder auch nur zur Wahrung der Privatsphäre eine Maske tragen und Abstand halten will, dem sei dies gewährt. Wie man auch andersrum respektiert, wo sich andere dem Risiko einer Erkrankung (als das man es selbst sehen mag) aussetzen möchten, und unmaskiert Nähe suchen. Statt einander die eigene Position aufzudrücken, sprich

  • entweder Masken und Abstand für alle abzuschaffen
  • oder alle durchzuimpfen und in den Lockdown zu schicken,

hätten wir nach Erfragen der jeweiligen Motivation respektvoll aufeinander Rücksicht genommen.

Meines Erachtens ist das die höhere Lektion aus dieser Krise, dass wir anfangen,

  • einander differenziert wahrzunehmen im „Wie geht es dir und was bewegt dich?“,
  • und im respektvollen Umgang Rücksicht zu üben.

Und warum sollten wir das tun? Weil nur so der Frieden gewahrt und wir in Liebe bleiben können. Denn das ist der eigentliche, der übergeordnete Standpunkt, von dem aus das deutsche Wesen die Dinge betrachtet. Sich also nicht mit einem der vielen möglichen Standtpunke zu identifizieren, sondern sie nur zur Abwägung aller Möglichkeiten und Sichtweisen zeitweilig einzunehmen.

Impulskontrolle

Wie sind Bedürfnisse so in Einklang zu bringen, dass sich jeder gesehen und berücksichtigt fühlt? Diese Frage wurde in deutschen Landen zur Friedenswahrung immer wieder gestellt, und es ist eine neue Frage.

Denn wie wir an vielen „Gästen“ aus dem arabischen oder afrikanischen Raum erleben können, lassen sie sich durch ein einziges Wort zum Äußersten treiben. Es genügt „Du Hurensohn“, und schon wird das Messer gezückt. Wird die Mutter oder Familie insgesamt beleidigt – auch wenn das gar nicht die Absicht war – ist die Reaktion zwangsläufig.

Das deutsche Wesen ist zu mehr Besonnenheit veranlagt, schon weil das Selbstgefühl nicht mehr so eng an das der Familie, Gruppe oder Sippe gebunden ist. Da wundert man sich eher, „warum der jetzt meine Mutter beleidigt, obwohl er doch mit mir ein Problem hat?“ Und idealerweise würde man tun, was in den vielen, sehr beliebten Kommunkationsseminaren ja geübt wird – nämlich das Motiv zu hinterfragen. „Hey, ich sehe du bist wütend, würdest du mir den Grund verraten?“

Häufig zeigt sich, dass Lappalien der Anlass für Aggression sind, ja, dafür reicht schon Unterzuckerung.

Zum Abschluss dieses Bild, das den Vorgang veranschaulicht.

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Die Emotion (aus dem Bauch) bricht durch, doch wir antworten nicht unmittelbar. Vielmehr ruft die um Frieden bemühte Herzens-Mitte den hinterfragenden Verstand zu Hilfe. Wir erfassen die Lage und finden deshalb zu Verständnis, weil wir Empfindungen des Verletztsseins oder was auch immer selber kennen. Wir haben ja auch einen Bauch und Emotionen. Im Herzen bewegen wir die Lage und finden zu einer Lösung.

Das ist der deutsche Weg, der irgendwann selbst den Ost-West Konflikt erlösen wird.


Weiter zum fünften Teil

mein buch zum thema

Zeitgemäße Gemeinschaftsbildung und die Aufgabe der Deutschen

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Erschienen: August 2021
Umfang: 422 Seiten

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Über den Autor

Thomas Christian Liebl

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